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Studien in Petrol - Eine Kritik zu "Shades of Grey"

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Hallo!

Nachdem der Wirbel um "Shades of Grey" pünktlich zum Wiener Opernball seinen Höhepunkt erreichte und ähnlich schnell abhaute wie Naomi Campell vom SemperOpernball, ersparte ich mir das Getümmel und gab mich dem Valentins-Blues hin. Eine Woche später hatten alle Freunde und Bekannten nicht das Buch gelesen, aber den Film geguckt und zu den negativen Kritiken hatte sich einige positive gesellt, z.B. von Sissi. Ich geriet in Zugzwang. Also bekniete ich einen Freund, der sich gegen einen geringen Obolus von 3 Muffins bereit erklärte, mich zu begleiten und notfalls zum Spannungsabbau zur Verfügung zu stehen. Zur Sicherheit reservierte ich die Karten. Drei Tage später saßen wir in einem riesigen Kinosaal mit 30 anderen und genossen... das Unheil, das sich zusammenbraute.


Vorgeplänkel


Ich mag die Bücher. Sie haben mich durch Phasen meines Lebens begleitet, in denen es mir nicht gutging und gaben mir Halt. Die rosarote, einfach gestrickte Welt war mir lieber als das Chaos um mich. Und sie machten mir Dinge bewusst, die mir heute noch wichtig sind: Es geht um Genuss. Es geht darum, nicht an die schmutzige Wäsche oder den nächsten Einkauf zu denken, sondern jemanden zu begehren. Das ständige Abwägen, was man gerade will, ist anstrengend. Im Buch stellt sich die Frage nicht - er will sie und sie will (eigentlich immer) ihn.

Ich weiß aber, dass die Realität komplizierter ist, aber die Belohnung größer. Dass es sich toll anfühlt, wenn man sich steigert. Und den dramaturgischen Fehlgriff mit der Entführung in Band 2 nehme ich der Autorin übel :-) Es ist eben nichts so dunkelgrau, wie es beschrieben wird.

Daher trug ich weiß. Das Spitzenkleid von Primark fühlt sich toll an, es bringt das Träumerische des Buches auf den Punkt. Typisch für mich ist dagegen die Frisur: Meine goldene Blumenkette (auch von Primark :-) ) befestigte ich mittels Flechtung auf dem Oberkopf. Herzchen-Ohrringe komplettierten den Look. Zum Wohle meiner Faulheit färbte ich den Lippen mit einem Stain und legte Lippenbalsam auf, auf Augen-Make-up verzichtete ich. Aufgrund des Wetters musste ich eine Hose tragen, was eine maskuline Note reinbrachte. Die Kombi aus freien Schultern und bedeckten Beinen fühlte sich toll an!

Die Musik


Der Soundtrack wird oft gelobt, ich fand ihn nervig. Er war gut. Passend konzipiert, darauf abgestimmt, besondere Momente noch besonderer zu machen. Er war so auf den Punkt, dass es wehtat. Er war zu gut.

Wenn bei einem Formel 1-Rennen vorher klar ist, wer gewinnt, dann macht es keinen Spaß den (erwarteten) Sieger zu feiern.

Und nein, ich will nicht "so geliebt werden, wie du es tust", denn ich will Aktiv, nicht passiv. Ich werde auch nicht "crazy right now", wenn ich versuche, mir musikalisch die Klamotten vom Körper zu zupfen und dabei zu klingen wie eine Tänzerin ohne Rhythmusgefühl. Ich will Schmerzen. Ich will, dass es wehtut und der Soundtrack genau das sagt: Das Leben ist voller Süße und voller Schmerzen.

Ich hab mal ne Playlist erstellt, deren Songs zum Film passen :-)

  • "Garden of growing hearts" von Empty Trash - Die perfekte Mischung aus Song, Film und Flair. Die Musik und das Video bringen die Botschaft des Filmes "Die Welle" perfekt auf den Punkt. Sowas hätte ich mir für "Shades of Grey" gewünscht.
  • "Roche" von Sebastien Tellier - DER Inbegriff musikalilscher Melancholie und dem Gefühl des süßen Schmerzes. Mein persönlicher Titelsong für "Shades of Grey". In der Live-Version gibt das Klavier zusätzliche Tiefe. Übrigens geht es nicht um Körperliches, sondern nur um Händchenhalten  :P
  • "Sur le fil" von Jenifer - Ein toller Song für Szenen in der WG. Der Song ist sehr mädchenhaft und fröhlich. Etwas tiefer gespielt und von einem Mann gesungen könnte man ihn auch in der Club-Szene einsetzen.
  • "Cool Kids" von Echosmith - Ein sehr eindringliches Thema, das live mit 4 Gitarren noch besser zum Tragen kommt. Ich stelle mir den Song in der Szene vor, in der Ana im Vorraum sitzt und von Chris' Sekretärinnen geflasht ist (übrigens im Film brilliant umgesetzt). Außerdem... ist der Song so melancholisch!
  • "Mr. Moon" von Mandio Diao - Das Lied hat für mich eine Melancholie, die zum Film passt. In der unplugged-Version klingt das Lied etwas dumpfer und deswegen nicht so traurig wie in der Studio-Version.
  • "Habits" -Vintage 1930's Jazz Tove Lo Cover ft. Haley Reinhart - Diesen Song hätte ich gern anstatt Sinatras "Witchcraft" in der Tanz-Szene gesehen - ich mag Sinatra, aber der Song war extrem klischeehaft. "Habits" hat etwas Elegantes, Chris' könnte es auch am Klavier spielen und eine gute Vorausdeutung auf Anas Kummer ist es auch :P
  • "We'll come again" von Corson - Der Song für die letzte Szene. Der Song ist traurig, aber nicht tieftraurig. Er hat etwas Drastisches und auch ein bisschen Hoffnung. Ich mag Corsons samtige Stimme sehr :-)

Die Kostüme


Anas Klamotten sind geil. Sehr natürlich, bequem, leicht verspielt, aber sportlich-elegant - ein Look, den ich so auf der Straße sehe. Oft wirken Klamotten in Filmen leicht übertrieben, aber hier passte alles. Es war anders ,als ich mir das vorgestellt habe (mehr Petrol....), aber... hätte man im Abspann Links zu den Klamotten gepostet, ich hätte draufgeklickt :-)

Chris war elegant, wie ich erwartet hatte, aber Petrol sei dank ein bisschen zu knallig. Er trägt nur bei Anas Abschlussfeier ein weißes Hemd, ansonsten schwanken seine Blautöne zwischen hell und knallig. Auch Model "Naturhaar, leicht gestutzt" steht ihm sehr gut, obwohl seine Haare an eine Betriebsparty erinnern: Alles überall verbreitet und ein bisschen auf Hotspots konzentiert. Sieht mit einer Jeans ganz nett aus.

Die Gebäude


Von Grey's Anatomy bin ich den Schwenk über den Tower gewöhnt, doch Shades of Grey zeigt, dass es auch schmutzige Ecken gibt (vermutlich das einzig wirklich Schmutzige im Film). Ich fand das sehr interessant und... es hat positiv abgelenkt. Da der Film mit Chris und seinem Lauf durch die Stadt beginnt, ist es eine schöne Metapher für seine Herkunft.

Von Chris' Wohnung war ich enttäuscht. Es gibt wunderschöne Panorama-Fenster und den obligatorischen Flügel. Aber der Boden ist dunkel. Das wirkt auf mich sehr düster und nicht wohnlich.Anfreunden konnte ich mich mit der Treppe - sie hat frei schwebende Stufen, aber ein geschlossenes Geländer, das mich an den klaren Stil des 20. Jahrhunderts erinnert. Es passt nicht in den eher offenen Raum und fällt auf. Als Metapher für Chris, der etwas einschließt und trotz seiner durchschaubaren Absichten etwas Zerbrechliches beschützt, ist es ganz gut. Trotzdem: Shades of Styles.

Übrigens: Portland (Oregon) hat mehr zu bieten als den Laden, in dem Ana arbeitet - es gibt dort eine Alpha-Helix-Skulptur von Julian Voss-Andreae.

Die Charaktere


Der Kern der Geschichte hat ziemlich versagt. Es fehlt die Chemie. Die Bindung. Die Charaktere für sich sind gut gestaltet, aber ohne einander wären sie besser dran.


Ana: Die Hauptfigur ist süß. Sehr natürlich mit ihrer Zahnlücke und dem immer perfekten Pony. Sie wirkt lebendig und deswegen cool. Aber die Verbindung zu Chris leuchtet mir nicht ein. Das war im Buch schon grenzwertig unlogisch, im Film ist es.. nix. Das liegt vor allem an der Perspektive: Während das Buch aus der Ich-Perspektive Anas geschrieben ist und der Leser in ihre Seele gucken kann, erzählt der Film oft personal. Die "innere Stimme" fehlt. Dadurch bleiben Anas Motive im Unklaren und es wird nicht deutlich, warum sie Chris so toll findet. Es ist, als hätte man sie in einen Käfig gesperrt und gesagt "Du musst lieben!" Schade finde ich vor allem, dass das Rebellische untergeht. Im Buch wird das in den Mails deutlich - Ana wehrt sich gegen Christian, sie will ihn beherrschen, ihm widerstehen und ... freut sich unbewusst, dass ihr Widerstand nicht immer akzeptiert, aber toleriert wird. Ob das dauerhaft glücklich macht? Im Film kommt das nur in der Szene vor, in der über den Vertrag verhandelt wird. Ansonsten genießt sie es, begehrt zu werden.

Christian: Er sieht gut aus. Er läuft oft in durchsichtigen Oberteilen :P und Jeans umher. Er ist ein Arschloch. Leider nur im Buch. Von Jamie Dornams Leistung bin ich arg enttäuscht. Er hat oft den gleichen Gesichtsausdruck, aber wenig Charme. Er wirkt hölzern und nicht selbstbewusst.  Natürlich ist es schick, von jemandem ans Bett gefesselt und geknallt zu werden. Aber es fehlt was. Chris Grey fehlt im Film das Bewusstsein, dass er cool ist. Er wirkt eher wie in kleines Hündchen, das sich nicht traut zu bellen. Oder ein kleiner Junge, der gerne spielt. Sein Spiel ist, auszutesten, wie weit er gehen kann. Bei Ana leider sehr, sehr weit. Aufgefallen ist mir das beim Essen: Im Buch hält Chris Ana ständig an, genügend zu essen (selbst wenn sie keinen Hunger hat), damit sie die Akte durchhält. Im Film wird kaum gegessen und... es fehlen Chris' Regeln.

Die Erotik


Obwohl ich einige erotische Bücher gelesen habe und mich in Sexszene so routiniert bewege wie in unserem Szeneviertel, muss ich gestehen: Es war mir zuviel.  Es gib eine Szene, in der Chris' Arsch mit Freude an den von Ana knallt - das war kurz über den Grenze. Ich finde die emotionale Beziehung der Figuren wichtiger und fand eine ausführliche Szene nicht notwendig. Ich wäre mir lieber gewesen, wenn man die Mimik und Gestik beim Akt, das Bewegen der Körper, gezeigt hätte.

Immerhin: Es gibt Brüste! Viele fröhlich hüpfende Brüste, Anas Po ist mal im Bild, Chris' noch weniger, wir dürfen Rückenansichten genießen und Anas makellosen Körper bewundern. Das war es. Ich finde, dass schamhaar-bedeckte, unter Körperteile etwas Melancholisches haben - Menschen messen sich in ihrer sexuellen Leistungsfähigkeit und sind verletztlich. Wenn sie komplett nackt sind, sind sie einerseits frei und andererseits angreifbar. Es ist, als hätte man nur die spaßige Seite betrachtet und ausgeklammert, dass Körperlichkeit etwas mit Vertrauen-Erarbeiten und Schützen zu tun hat. Hätte man für den europäischen Markt nicht ein paar Szenen unterhalb der Gürtellinie drehen können - mit Doubles?

Immerhin: Beide tragen getrimmt, aber nicht glatt-rasiert! Und teilweise computer-generiert.

Die SM-Szenen zeigten für mich eher Genuss als Schmerz. Und als solche finde ich sie gut. Ana hängt in Ketten und lässt sich erst streicheln, dann schläft er mit ihr. Auch die Szene, in der er sie mit ihrem Shirt bewegungsunfähig und blind macht, finde ich spielerisch und.. fröhlich, niedlich. Es fehlt die emotionale Ebene der BDSM-Problematik. Der Vertrag, den Ana unterzeichnen soll, deutet gut an, was das Thema beinhaltet und in welcher Richtung die Grenze liegt - denn man sieht, was alles möglich sein könnte. Das Problem ist: Im Buch nimmt der Vertrag 12 Seiten ein, im Film sind es ein paar Minuten. Die Szene, in der die beiden über den Vertrag verhandeln, ist sehr stylisch - schnelle Schnitte, viele Nahaufnahmen, ein langer dunkler Tisch vor orange beleuchtetem dunklen Gitter. Aber so nah, wie man dem Papier auf dem Vertrag kommt, kommt man den Figuren im Rest des Filmes nicht.

[Spoiler]

Das Ende war im Film ziemlich komprimiert, sodass das Ende anderes wirkt als im Buch. Im Film sieht es so aus, als ob Ana geht, weil ihr diese Seite an Chris zu dunkel ist und weil er ihr Vertrauen zerbrochen hat. Im Buch beruhigt sie sich im Laufe der Nacht und kann am Ende wieder seine Nähe ertragen. Vor allem begründet sie das Aus damit, dass sie ihm nicht geben kann, was er sich wünscht. Sie stellt sein Wohl über ihres. Mal wieder. Der Film zeigt also nur einen Teil des Konfliktes.

[Spoiler Ende]

Schwierigkeiten mit Petrol


Ich liebe Petrol. Es ist wie Türkis, nur in Blau. Es ist die Farbe meines ersten Lidschattens und ein ziemlich kräftiger Farbton. Im Film kommt Petrol in Anas Jacke (die eigentlich marine ist), im Bettlaken in Chris' Appartement und in einem seiner Hemden vor. Es macht den Film frisch, aber auch etwas weich. Als würde man sagen "So schlimm ist das nicht!" Doch, ist es. Unter dem knusprig-süßen Zuckermantel mit petrolfarbenen Streußeln befindet sich eine Frau, die das Wohl des anderen über ihres stellt, Gefahren erkennt, aber nicht wirklich gegensteuert und die mit ihrem Egoismus vor allem denjenigen ruiniert, den sie beschützen will. (Ok, in der Realität wollen wir charismatische Badboys auch nur ansabbern und dann zum Guten bekehren. Aber meistens brechen sie uns so sehr das Herz, dass wir freiwillig gehen...)

Fazit


Manche Feuerwerke zu Sylvester werden freudig erwartet (wenn man sie auf lautlos stellt), zünden aber trotz viel Geld nicht. Bunte Lichter reichen nicht aus, um Flair zu erzeugen. So ist dieser Film. Man hat viel gewollt, Soundtrack und Farben sind perfekt, der Schnitt gut, die Hauptdarsteller hübsch. Aber es fehlt an Inhalt. Die Reibungen, Konflikte, die dem Buch ein bisschen Tiefe gaben, werden glattgebügelt und gehen am Ende nicht auf. Ich hätte ein paar Sexszenen weggelassen und wäre auch eine halbe Stunde länger (für heftige Diskusionen) im Kino geblieben, wenn die Geschichte mehr Tiefe gehabt hätte. Als Verfilmung eines Buches ganz nett, als Buchverfilumg erfolgreich versagt.

Eine amüsante und relativ tiefe Kritik gibt es auf DeutschlandRadio Kultur.

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